Rütteln – wichtigster Schritt bei der traditionellen Flaschengärung!

5. August 2024 | Prickelndes Wissen

Rütteln ist der wichtigste Schritt bei der traditionellen Flaschengärung! Früher war das eine mühsame Arbeit, die nur von geübten Fachkräften verrichtet wurde. Heute kann man das auch mit einer Maschine machen, und zwar in hoher Qualität. Ich erkläre Ihnen gleich, warum dieser Arbeitsschritt so wichtig ist.

Champagner, Winzersekt und Cava werden ja in einer zweiten Flaschengärung hergestellt. Da stellt sich natürlich die Frage, wie man das Hefedepot am besten aus der Flasche bekommt. Sobald man die Flasche öffnete, schoss die unter Druck stehende Flüssigkeit heraus und man verlor leider auch viel vom kostbaren Getränk. Dieser Verlust musste dann wieder mit einer Dosage (Mix aus Wein und Süße) manuell ausgeglichen werden.

Nach der Lagerung des Champagners während der Gärung in der Flasche muss die abgestorbene Hefe und alles andere, was sich in der Flasche befindet, entfernt werden. Ansonsten wird der Champagner trüb und sieht nicht mehr so aus, wie man ihn kennt. Deshalb ist das Rütteln ein ganz wichtiger Schritt in der Herstellung.

Rütteln – Die Geschichte

Zum Ende des 17. Jahrhunderts war das Verfahren des Remuage (französisch) oder Riddling (englisch) noch weitgehend unbekannt. Die Flaschen wurden also ungefiltert ausgeliefert und der Kunde musste den Bodensatz selbst entfernen. Weine wurden meistens dekantiert und nicht direkt aus der Flasche serviert. Irgendwann haben Mönche dann Sandhaufen benutzt, um die Flaschen darin zu lagern, oder sie kopfüber darauf gestellt.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Flaschen mit dem Hals nach unten in Löcher in Holzverkleidungen gesteckt und dann einzeln herausgenommen. Anschließend wurden sie in kleinen Schritten gedreht, wobei man sich auf die Schwerkraft verließ, um den Trub in den Flaschenhals zu ziehen. Dieses Verfahren war aber nur teilweise erfolgreich, weil ein Teil der Hefe an den Seiten der Flasche hängen geblieben ist.

Schaumwein Keller Champagne
Rüttelpult (Pupitre) im Schaumweinkeller

In den nächsten Jahren wurde das Rütteln dann immer weiter verbessert. Es heißt, dass die Madame Veuve Clicquot und ihr Kellermeister Antoine de Müller als erste auf die Idee der Pupitres kamen, als sie einen Küchentisch nahmen und ihn mit schrägen Löchern durchbohrten. So konnten die Flaschen in verschiedenen Winkeln gekippt werden und blieben während der gesamten Remuage an ihrem Platz.

Andere Techniken wie kleine Hammerschläge auf die Flasche wurden verworfen. 1947 begannen die Winzer, Substanzen hinzuzufügen, die den Bodensatz schwerer machten (und damit leichter sich lösen) – ein Ansatz der heute wieder im Versuchsstadion ist, um auf das Rütteln komplett verzichten zu können.

WAs funktioniert das Rütteln?

Beim Rütteln geht’s also darum, den Bodensatz zu lockern, damit er sich im Flaschenhals sammelt. Bei diesem Verfahren wird die Flasche ganz langsam gedreht und dabei gekippt, sodass sie mit dem Hals nach unten liegt (sur pointe). Während der Lagerung haben sich die Hefezellen auf dem Boden der Flasche abgesetzt. So können sie aber nicht aus der Flasche entfernt werden. Theoretisch könnte man den Champagner umfüllen und filtern, aber dann würde er einen Teil seiner Kohlensäure verlieren.

Das manuelle Drehen und Wenden ist die traditionelle Methode, die vom sogenannten Remueur durchgeführt wird. Ein geübter Spezialist kann 50-60.000 Flaschen pro Tag drehen. Der gesamte Rüttelprozess dauert mindestens sechs Wochen. Es handelt sich um eine sehr kostspielige Phase der Champagnerherstellung, die sowohl Arbeitskräfte als auch Arbeitsraum erfordert.

SEkt hefe im Flaschenhals - das Rütteln

Die Industrialisierung

In den 70ern kam dann die erste Gyropalette auf den Markt. So konnte man jetzt 504 Flaschen in einem einzigen Arbeitsgang bearbeiten. Eine ausgeklügelte, computergesteuerte Maschine ahmte dabei die Bewegungen des manuellen Rüttelns exakt nach. Der Gyro macht das Rütteln quasi über Nacht möglich. Das ist eine riesige Arbeitserleichterung und spart auch noch Kosten. Das Beste daran: Die Gyropaletten brauchen nicht viel Platz und man kann mehrere gleichzeitig nutzen, um Schaumweine auf den Kopf zu stellen. Die Qualität ist genauso gut wie beim manuellen Rütteln.

Sobald die Flaschen des traditionellen Flaschengärers gerüttelt wurden, kann für den Bedarf degorgiert werden. Schaumweine werden oft in Chargen entheft und nicht alles auf einmal. Die undegorgierten Flaschen können jahrelang gelagert werden, geschützt unter dem Hefepropfen. Sobald man sie braucht, kann man sie von der Hefe befreien, mit Dosage versehen und dann verkaufen.

Ohne diesen wichtigen Schritt des Rüttelns wären alle Schaumweine naturtrüb, eine Tendenz, die man häufiger bei der Methode Ancestral wiederfindet. Mehr dazu im Artikel Pet Nat.



Credits:
Der Artikel wurde weder in Auftrag gegeben, noch vergütet und spiegelt alleine meine Meinung wider. Weiterführende Links haben keinen kommerziellen Nutzen für Das Schaumweinmagazin.

Fotos: Titelbild Rütteln – Weingut Bamberger, Timo Volz, Weitere Bilder – Nicole Wolbers


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